BMIN - Behinderte Menschen INklusiv
 
 

Maron bereitete kurzfristig einige Kopien der 12 Punkte BMIN-Forderungskatalog, das Manifest der internationalen Selbstbestimmt Leben Bewegung und eine herbe Kritik an der ORF LID-Spendenaktion vor: „Im Kern verfolgt LID eine kalte Privatisierung des Behindertenwesens, behinderte Menschen werden für institutionelle Zwecke der Dienstleister instrumentiert und verbleiben im Objektstatus der Politik.“

Maron: „… habe darauf hingewiesen, dass nicht alle behinderten Menschen mit der LID-Aktion einverstanden sind, aber da drängen sich halt die Lemuren um ihn herum, Vaselin + Trichter, so dass für Gespräche keine Zeit blieb. Hab nachher noch Gelegenheit gehabt, kurz mit dem Wrabetz zu sprechen und gefragt, warum nicht auch Kritiker und Kritikerinnen der ORF-Aktion zu Wort kommen dürfen und zwar innerhalb einer Licht ins Dunkel Aktion. Er hat zwar wohlwollend genickt und ein „Werma Schaun“ von sich gegeben, aber das kostet ja nix...

Erstaunlicherweise hat sich der Präsident der Lebenshilfe Univ.-Prof. Dr. Germain Weber die Kritik an LID durchgelesen und gemeint, dass er einigen Punkten voll und ganz zustimmt und dass sich bei LID was ändern muss.

Mehr war net drin und Bettelmafia wollte ich nicht unbedingt schrein, weil ja ein Fall aus dem zweiten Stock an net so leiwaund is.“


Am 3. Dezember wird das LID-Album im Radiokulturhaus vorgestellt, wo auch Maron dabeisein wird. Er kündigt an, „den Architekten und die Au“ und das Gedicht, „Alt krank ohne Arbeit“, plus einigen Auszügen aus dem Papier „Fortbestand von LID“ zu zitieren.

LID-Schirmherr Bundespräsident Dr. Heinz Fischer und ORF Generaldirektor Alexander Wrabetz nahmen das Schreiben entgegen, für Gespräche blieb allerdings keine Zeit.

Unterlagen für Renata Schmidkunz /ORF

Kritik an LID von Dr. Erwin Riess ungekürzt - übergeben von Sigi Maron:

Es ist notwendig, die Behindertenbewegung aus der paternalistischen Zwangsjacke zu befreien. Die internationale Entwicklung *) folgt immer klarer den Prinzipien der Independent Living Movement / Selbstbestimmt Leben Bewegung, während in Österreich das Bild von behinderten Menschen nach wie vor von der „Licht ins Dunkel“ – Falle geprägt ist, die arme, unselbständige Hascherl vorführt, welche Objekte und nicht Subjekte der Politik sind und als Projektionsfläche für diskriminierende Klischees dienen.

Während in den Industriestaaten die Disability Studies sich immer mehr an den Universitäten festsetzen, gibt es in Österreich nichts Vergleichbares, dasselbe gilt für die Inklusionpädagogik, gesellschaftswissenschaftliche Studien und die Architekten- und Baumeisterausbildung (die Grundsätze barrierefreien Bauens und Wohnens sind nach wie vor nicht verpflichtender Bestandteil der einschlägigen Lehrpläne, dementsprechend borniert sind die Zugänge vieler Bauschaffender zum Thema)

 

Nach Erfolgen und Fortschritten in den 80-er und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, ist seit der Jahrtausendwende ein Stillstand in der Behindertenpolitik eingetreten, der um 2007/8 in einen Rückschritt überging. Mit dem Sparpaket vom Jahresende 2010 beschleunigte sich der Rückschritt dramatisch – es kam auf vielen verschiedenen Gebieten zu einer Verschlechterung bzw. Totalaufhebung und Streichung von Leistungen

 

Das brachte das Sparpaket für die behinderten Menschen – Aufzählung der Maßnahmen (Auswahl)

 

Verschlechterungen bei der Mobilität:

Streichung von Zuschüssen für den Umbau und den Ankauf von behindertengerechten PKWs, Streichung der NOVA-Rückvergütung, Verschieben der Barrierefreiheit öffentlicher Bauten und Verkehrsmittel auf 2020, Streichung des Mobilitätszuschusses.

 

Verschlechterungen im Studien und Schulbereich:

Nur 18% aller Schulen und ca. 30% der Unis sind barrierefrei, das wird weitere rund zehn Jahre so bleiben, eine ganze Generation behinderter Schülerinnen und Studenten wird ausgeschlossen, Kürzung von Assistenzstunden, Kinder mit Förderbedarf erhalten weniger Unterstützung (besonders schlimm in ÖO und der Steiermark), behindertenfeindliche Lehrpläne bleiben erhalten

 

Streichung von Sozialleistungen, steuerliche Erschwernisse:

Gestrichen wurden gänzlich oder zum Großteil die Festnetz- und Fernsehgebührbefreiung behinderter Menschen, steuerliche Abschreibemöglichkeiten aus dem Titel einer Behinderung werden zurückgenommen, der Zugang zu den Pflegestufen 1 und 2 wurde massiv erschwert (die Maßnahme trifft in weit überwiegendem Maß arme und alte Frauen – rund 26.000 in den nächsten drei Jahren; Sozialexperten bezeichneten die Stufen 1 und 2 des Pflegegelds als wirksamste Maßnahme zur Armutsbekämpfung bei betagten Frauen, diese Verschlechterung auf dem Rücken der Frauen geschah im Jahr der Armutsbekämpfung 2010 und wird 2015 fortgesetzt !!!);

Kleinliche und diskriminierende Regreßregelungen für die Gewährung Persönlicher und Arbeitsassistenz (besonders schlimm in OÖ, dort können 250 behinderte Menschen Arbeitsstellen nicht annehmen, weil sie keine Arbeitsassistenz mehr bewilligt bekamen)

 

*) die Verschlechterungen stammen von Expertinnen und Experten von AK und der ÖGB-Zentrale, Minister Hundstorfer verzichtet auf die Expertise der hochqualifizierten Beamten seiner Behindertensektion (siehe das fortschrittliche Bundesbehindertenkonzept des Sozialministeriums aus den späten neunziger Jahren)

 

Pflegegeld:

Wichtig! Ziel des P. ist NICHT medizinische Pflege (das wird über anderen Maßnahmen geregelt, mobile Pflegerinnen und Pfleger) sondern DIE ERHÖHUNG DER SELBSTSTÄNDIGKEIT BEHINDERTER MENSCHEN (§ 2 des Bundespflegegeldgesetzes), daher gehen auch die immer wiederkehrenden Mißbrauchsvorwürfe ins Leere (Tatsächlich wurde die Gesetzespraxis mehrfach evaluiert, zuletzt in einer großen Studie von Prof. Badelt, er stellte eine mustergültige Treffsicherheit des Gesetzes und de facto keinen Missbrauch fest)! Rückstufungen werden nicht vollzogen und sind somit ungesetzlich – sagte auch Sozialminister Hundstorfer in einem ORF-Interview.

 

Arbeitsmarkt:

Aussetzung des besonderen Kündigungsschutzes für vier Jahre (unter Zustimmung der Behindertenverbände!) eine verquere gewerkschaftliche Logik: wenn Schutzmaßnahmen gestrichen werden, solle das einen Fortschritt darstellen!) Arbeitslosenrate vermittelbarer behinderter Menschen seit dreißig Jahren bei 35-40%, nicht einmal die Bundesstellen und die Sozialpartner erfüllen ihre Einstellungsverpflichtung, lächerliche Erhöhung der Ausgleichstaxe für Konzerne (Infineon z.b. stellt prinzipiell keine Behinderten ein, zahlt die Taxe aus der Portokasse), Geschützte Werkstätten erfüllen ihre Bestimmung nicht, dort arbeitende Behinderte erhalten nur Taschengeld, sind NICHT pensionsversichert!

 

Gesellschaftliche Stellung:

Es gibt kein taugliches Antidiskriminierungsgesetz, das derzeit bestehende „Behindertengleichstellungsgesetz“ ist eine Karikatur auf dasselbe – man kann Diskriminierung feststellen lassen, der diskriminierende Tatbestand muss aber NICHT beseitigt bzw. saniert werden (Hunderte Beispiele), lächerliche bzw. inexistente Strafmöglichkeiten – das Gegenteil des amerikanischen AdA-Gesetzes.


Die politische Vertretung der behinderten Menschen ist objektiv korrupt (die Behindertensprecher von ÖVP und SPÖ stimmten FÜR das Sparpaket, inaktiv (GRÜNE) oder spielen die behinderten Menschen gegen „Ausländer“ aus (BZÖ; FPÖ). Die offiziellen Behindertenorganisationen wie ÖAR (Dachorganisation), Zivilinvalidenverband, Lebenshilfe u.a. vermögen keinen nennenswerten Widerstand zu entwickeln, weil sie am Subventionstropf des Sozialministeriums hängen, jenem Haus, das unter Minister Hundstorfer (Anm.BMIN-Red.: Höhere Hürden für Pflegegeld) zum Vorreiter der Verschlechterungen wurde


Fast alle Maßnahmen des Sparpakets widersprechen UN-Konventionen und EU-Richtlinien.

Es gibt einen Grund, warum behinderte Menschen so überproportional vom Sparpaket getroffen wurden – sie haben keine Vertreter in der Sozialpartnerschaft. In den Gewerkschaften, den Arbeiterkammern und deren Pendants auf der Wirtschaftsseite spielen behinderte Menschen keine Rolle. Gemeinsam mit Frauen, betagten und migrantischen Personen zählen behinderte Menschen zu den systemischen Verlierern der Sozialpartnerschaft.


Nur die kleine Selbstbestimmt-Leben-Szene in Wien und den Landeshauptstädten leistete Widerstand, organisierte Demonstrationen u. ä.


Fortbestand der schädlichen Licht ins Dunkel – Kampagne.


„Licht ins Dunkel“: Problemaufriss

  1. -zeichnet ein überholtes, diskriminierendes Bild von behinderten Menschen -

  Almosen statt Rechte

  1. -nur ein Bruchteil kommt einzelnen Behinderten zugute, überwiegend

  profitieren Dienstleister von LID-Geldern

  1. -anstelle demokratischer Verhandlungen in Gebietskörperschaften gibt es

  intransparente Vergaben

  1. -Etablierung einer „Licht ins Dunkel“ Spendenindustrie mit wenigen

  Eingeweihten, die seit Jahrzehnten darüber wachen, dass immer dieselben

  Organisationen bedacht werden

  1. -Ausschluss behinderter Experten bei Konzeption und Anlage der Kampagne

  (dass es anders geht, zeigt seit rund zehn Jahren die „Aktion Mensch“ in

  Deutschland)


Im Lauf der Jahre hat sich ein LID-Komplex von ORF, Printmedien, Unterhaltungsindustrie und Dienstleistern (Hilfswerk, Rotes Kreuz, Caritas, Diakonie etc.) herausgebildet, der als Closed Shop funktioniert, behinderte Menschen haben keinen Einblick in die wahre Geschäftsgebarung, Kritik an Licht ins Dunkel (kommt seit Jahren von der gesamten Behindertenszene) wird wütend bekämpft oder totgeschwiegen.


  1. -Im Lauf der Jahrzehnte wurden behinderte Menschen aus relativ

  demokratischen Zusammenhängen in öffentlichen Budgets ausgegliedert

  und in den Almosen-Bereich verschoben,

  1. -Licht ins Dunkel perpetuiert mit dem Einsatz geballter Medienmacht die

  Unmündigkeit, repräsentiert somit das Gegenmodell zu den Grundsätzen der

  Independent Living Movement, die alle Behinderungsformen umfasst


Fazit: im Kern verfolgt LID eine kalte Privatisierung des Behindertenwesens, behinderte Menschen werden für institutionelle Zwecke der Dienstleister instrumentiert, verbleiben im Objektstatus der Politik


Im zivilgesellschaftlichen Status hinkt Österreich der internationalen Entwicklung weit hinterher.


Anm.BMIN.Red.: Der Mobilitätszuschuss wurde nicht gestrichen - er wird jedoch seit einigen Jahren auch nicht mehr erhöht.


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